Zeit der Sehnsucht, Zeit des Aufbruchs
– Die Einübung des Advents –
„Seht euch also vor, und bleibt wach! Denn ihr wisst nicht, wann die Zeit da ist.“ (Mk 13,33)
Wir hören diesen Aufruf Jesu an seine Jünger am ersten Adventsonntag. Er zieht uns in die doppelte Sinntiefe des Advents hinein als die Zeit der Vorbereitung auf das Geburtsfest Jesu Christi und des Gedenkens an seine Wiederkunft. Das Gedächtnis des ersten Kommens Jesu und die Erwartung seiner Wiederkunft am Ende der Zeit sind ineinander verwoben.
Sehnsucht und Verwirklichung, Hoffnung und Erfüllung, Unterwegssein und Ankommen: Der kirchliche Advent hebt den menschlichen Advent in den Bereich der Begegnung zwischen Gott und Mensch empor. Sich zwischen Hoffnung und Erfüllung vorfindend, trägt der Mensch sein Leben lang die Sehnsucht nach Ankunft und Heimat, Angenommensein, Glück und Frieden in sich. Trotz aller Erfahrungen von Begrenztheit und Bedürftigkeit, Enttäuschung und Ohnmacht streckt er wieder und immer wieder neu seine Hand aus in der Erwartung, dass sie jemand in seine Hand legt und füllt. Die Sehnsucht nach dem Geliebtwerden und die Hoffnung auf die Erfüllung des Lebens kennzeichnen unser Menschsein. Wir sind Wartende und Sehnende und Hoffende ein Leben lang.
Der kirchliche Advent erinnert daran, dass unser menschlicher Advent aus sich heraus nicht beantwortbar ist. Die Erfahrung lehrt uns: Der Mensch schafft es auf sich allein gestellt nicht, seiner Sehnsucht und Hoffnung Heimat zu geben, die sein Herz im Frieden birgt und hält. Die liturgischen Texte des Advents nehmen diese Erfahrung auf und stellen sie zugleich in die Begegnung zwischen Gott und Mensch hinein. Was wir um unser selbst willen an menschlicher Heimat brauchen, vermögen wir uns letztlich nicht selbst zu geben. Auf sich allein gestellt, gleicht der Mensch einer ausgestreckten Hand, die ins Leere greift. Und dennoch: In der ausgestreckten Hand wird unsere Sehnsucht nach Geborgenheit, nach Liebe und Erfüllung sichtbar. Darin erkennen wir unsere Ungeborgenheit, unser Unterwegssein und unsere Offenheit bis zu jener Begegnung, die letztlich Erfüllung schenkt.
Die Zeit des Advents ist von daher nicht die Zeit einlullender Gefühle und harmonisierenden Gehabes. Der Advent ist die Zeit des Erwachens zu sich selbst. Was in unserer Existenz fraglich und bedürftig ist, wird nicht beiseitegeschoben und schöngeredet. Der adventliche Mensch setzt sich der Bedürftigkeit seiner Sehnsucht und Hoffnung schonungslos aus. Er ebnet sie nicht ein, er verdeckt sie nicht, er weicht ihr nicht aus. Auf die Erkenntnis bauend, dass er selbst, solange er bei sich und in seiner Welt verharrt, in seinem Leben stehen bleibt, erstarrt und ins Leere greift, wagt er den großen Schritt über sich hinaus und in die Begegnung mit Gott hinein: Erst wenn er über sich hinausgeht, wird der Mensch er selbst. Seine Sehnsucht und Hoffnung ist durchsichtig auf Gott hin. Er ist der Erfüllung seiner Sehnsucht und Hoffnung bedürftig. Er ist Gottes bedürftig. In der Begegnung mit ihm erfährt unser Sehnen und Hoffen den tiefsten Widerhall und die letzte Erfüllung.
Der Advent ist die Zeit der Verheißung. Der kirchliche Advent gibt dem menschlichen Advent die Verheißung, dass der Mensch die Stillung seiner Sehnsucht und die Erfüllung seiner Hoffnung nicht selbst schaffen kann und auch nicht zu schaffen braucht: Gott kommt ihm in Jesus von Nazareth menschlich entgegen und ist ihm in Jesus von Nazareth unendlich nahe. Wir sehnen uns nach der Erfüllung unserer Hoffnung und Gott sehnt sich nach der Erfüllung unserer Existenz. Mensch und Gott begegnen einander in Sehnsucht und Hoffnung. Das Wagnis des Glaubens, über sich hinauszugehen und sich dem Segen des entgegenkommenden Gottes anheimzustellen, in dem alles Sehnen und Hoffen der Welt geborgen ist, bleibt eine persönliche Entscheidung. Wer das Wagnis eingeht, setzt sich dem Zerbrechen jener Haltung aus, die meint, sein Leben auf sich allein gestellt selbst erfüllen zu können und zu müssen.
Es ist ein Wagnis – nicht eines ins Leere, sondern in die Freiheit des entgegenkommenden Gottes. Die Zeit des Advents ist die Zeit der Verheißung, dass Gott uns entgegenkommt, nicht die Zeit der Erfüllung, wie wir auch zu Weihnachten nicht die Vollendung von Welt und Mensch feiern, sondern die Menschwerdung Gottes. Gott bleibt der Gott der Verheißung. Der kirchliche Advent sagt unserem menschlichen Advent: Wer das Wagnis des Glaubens unternimmt, über sich hinauszugehen und sich unter den Segen des entgegenkommenden Gottes zu stellen, erfährt nicht die Hinwegnahme der Bedrängnisse und Lasten seiner Existenz, wohl aber den Wandel der Verzagtheit hin zur Hoffnung, die allen Widerfahrnissen standhält und den Wandel hin zur leisen Ahnung dessen, was unsere Existenz im Letzten ist.
Frater Gregor Schwabegger O.Cist.