Wenn wir sagen: „Er ist ein freundlicher Mensch“ oder „Du bist freundlich“, sprechen wir damit eine Erfahrung aus, die wohl tut. Freundlichkeit baut uns auf. Können wir freundliche Menschen werden? Kann Freundlichkeit in uns wachsen? Ja, es braucht jedoch Übung und Geduld.
Freundlich leitet sich vom mittelhochdeutschen vriuntlich ab. Es bezeichnet ein wohlwollendes und herzliches Verhalten. Im entsprechenden englischen Wort kindness steckt das Wort kin, das sich vom Altenglischen kin – Familie, nahe Verwandte – ableitet. Freundlichkeit bedeutet also, dem anderen wie einen nahen Verwandten mit Wohlwollen und Herzlichkeit zu begegnen. Ich will, dass es dem anderen gut geht. Ich wende mich jemandem als “Verwandter“ zu. Für den Philosophen Aristoteles (384-322 v. Chr.) befindet sich die Freundlichkeit in der Mitte zwischen der Gefallsucht und der Streitsucht: zwischen dem Verhalten, immer gut ankommen zu wollen und dem Drang, ständig zu streiten. Für Aristoteles gehören zur Freundlichkeit das mitmenschliche Interesse am anderen und die Rücksichtnahme.
Der Apostel Paulus fordert in seinem Brief an Titus dazu auf, „freundlich und gütig zu allen Menschen“ (Tit 3,2) zu sein. Christen sollen sich ihren Nächsten als Brüder und Schwestern erweisen, denn alle Menschen gehören zu einer großen Menschheitsfamilie, in die Jesus eingetreten ist. An seinem Beispiel kann Freundlichkeit geübt werden.
Freundlich ist, wer „das geknickte Rohr nicht zerbricht und den glimmenden Docht nicht auslöscht“ (Mt 12,20). Das Gute erkennen und fördern. Ermutigen und aufbauen. Kritik so bringen, dass sie dem anderen weiterhilft. Ein freundlicher Mensch hört aufmerksam zu und möchte verstehen. Wer freundlich ist, achtet die Stärken und Grenzen des Nächsten. Wirkliches inneres Wachsen braucht Pflege und Geduld. Freundlichkeit bleibt beim anderen “dran“.
In unserem oft rauen Alltag könnte die Freundlichkeit, die jeder übt, eine Erinnerung daran sein, dass Gott unter uns ist und mit uns lebt.
Gregor Schwabegger OCist