Mit dem Horchen beginnen

Was dem christlichen Leben zugrunde liegt, ist nicht bloß eine Summe von Sätzen über Gott. „Wisst ihr nicht, dass ihr Gottes Tempel seid und der Geist Gottes in euch wohnt?“ erinnert der der Apostel Paulus die Korinther (1 Kor 3,16). Der unendliche Gott wohnt in uns. In der Mitte unseres Herzens. Er ist uns näher ist als wir uns selbst. Er ist in uns und wir sind in ihm. Wir sind uns im Alltagsgetriebe zumeist nicht bewusst, dass die unversiegbare Quelle des Lebens mitten im Menschen gegenwärtig ist. Christliche Weisheit sucht die Erfahrung des göttlichen Wortes in unserer Welt. Es bleibt eine Spannung aufrecht: Dieses Wort ist in der Welt zugegen und alle Dinge sind in diesem Wort geborgen. Und dennoch: Oft gehen wir daran vorbei, weil wir nicht achtsam sind.

Im Buch der Sprichwörter (Spr 1,20-21) heißt es: „Die Weisheit ruft laut auf der Straße, auf den Plätzen erhebt sie ihre Stimme. In größten Lärm ruft sie, / an den Stadttoren hält sie ihre Reden (…).“ Und das erste Wort der Benediktusregel aus dem 6. Jahrhundert ist der Aufruf: „Horche!“ Horchen ist eine achtsames, ein waches Hinhören. Heute sind wir gewissermaßen im Zustand des Dauer-Hörens: Von unzähligen Medien beschallt und von vielen Geräuschen überschwemmt, stehen wir in der Gefahr, uns abzuschirmen und nur noch das zu hören, was wir hören wollen. Weil wir, überflutet vom vielfältigen Getöse des Tages, nicht mehr horchen können, werden wir zu Getriebenen des Getöses. Und wir machen dabei immer wieder die Erfahrung: Das Getöse trägt uns nicht. Vielmehr treiben wir auf ihm. Und wenn es einmal ausfällt, sind wir irgendwie hilflos gegenüber der Stille.

Das Horchen braucht Stille, nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich. Wenn wir Horchende sein wollen, brauchen wir Stille. Wir müssen uns einen täglichen Freiraum für die Stille schaffen. Und wenn uns dies gelingt, braucht es die Übung, sich nicht der eigenen Gedankenflut zu überlassen, sondern einfach nur zu horchen. Die Stille ist die Lehrmeisterin der Weisheit. Sie bringt das unruhige und trübe Wasser unseres Daseins zur Ruhe und macht es klar. Wann haben wir das letzte Mal wirklich auf unser Herz gehört?

Gregor Schwabegger OCist