Eine Erzählung aus dem frühen Mönchtum lautet: „Ein Bruder kam zum Altvater Poimen und sagte: ‚Vater, ich habe vielerlei Gedanken und komme durch sie in Gefahr.’ Der Altvater führte ihn ins Freie und sagte zu ihm: ‚Breite dein Obergewand aus und halte die Winde auf!’ Er antwortete: ‚Das kann ich nicht!’ Da sagte der Greis zu ihm: ‚Wenn du das nicht kannst, dann kannst du auch deine Gedanken nicht hindern, zu dir zu kommen. Aber es ist deine Aufgabe, ihnen zu widerstehen.’“
Täglich mühen wir uns darum, negative Gedanken nicht in uns eindringen zu lassen. Sie sollen nicht bei uns Wohnung nehmen. Aber wir merken: Es gelingt nicht, sie mit Gewalt fernzuhalten. Wir können einen negativen Gedanken unterdrücken und er kehrt zurück. Immer stärker als zuvor. Und letztlich wird er zum Mittelpunkt, um den sich alle innere Kraft dreht. Schließlich bestimmt er unser Verhalten. Abbas Poimen, eine der großen Persönlichkeiten des Mönchtums aus dem späten 3. Jahrhundert, zeigt das im Bild vom ausgebreiteten Obergewand, das die Winde aufhalten soll. Negative Gedanken werden wie die Winde immer wieder kommen und in uns eindringen. Wir können das nicht verhindern.
Was aber können wir dann tun? Abbas Poimen spricht von der Aufgabe, „ihnen zu widerstehen“. Lernen, mit ihnen umzugehen und lernen, mit ihnen zu kämpfen. Dieses Kämpfen hat die Gestalt des Dialogs: Wir sollen lernen, mit unseren Gedanken zu sprechen, indem wir sie nach dem befragen, was sie von uns wollen. Dahinter steht die Erfahrung der ersten Mönchsgeneration, dass in jedem Gedanken, auch in jedem negativen Gedanken, ein verborgener Sinn liegt, der darauf wartet, ans Licht gehoben zu werden. Was will uns ein negativer Gedanke sagen? Was will er uns über uns selbst sagen? Wo will er Kräfte freisetzen, die dem Leben dienen?
„Aber es ist deine Aufgabe, ihnen zu widerstehen.“ Negative Gedanken dürfen sein. Die Aufgabe besteht darin, mit ihnen kämpfen zu lernen. Mit ihnen, nicht gegen sie. Dieser Kampf gehört zum Lernen der Selbsterkenntnis. Vielleicht mag uns hier das Bild vom sportlichen Wettkampf weiterhelfen. Im Wettkampf lernen wir nicht nur den von uns respektierten Gegner kennen, dessen Stärken und Schwächen, sondern wir lernen auch uns selbst kennen. Darum geht es: Im täglichen Üben vertraut zu werden mit unseren Gedanken. Und mit jedem Üben wächst die Fähigkeit sich zu bewähren. Wir gewinnen an innerer Stärke.
Das Vertrautwerden mit unseren negativen Gedanken gehört zur täglichen Schule der Selbsterkenntnis. Wer in sie geht, wird wie Abbas Poimen eine vertrauenswürdige Persönlichkeit: Ein Mensch, dem man vertrauen kann, weil er sich selbst kennt und angenommen hat. Wer sich selbst angenommen hat, ist freundlich zu sich selbst und wird auch anderen freundlich begegnen.
P. Gregor Schwabegger OCist