„Das Volk, das in der Finsternis ging, sah ein helles Licht; über denen, die im Land des Todesschattens wohnten, strahlte ein Licht auf.“ (Jes 9,1)
Wenn wir die Christmette feiern, dann tun wir dies in finsterster Nacht. Wir gehen durch die Kälte zur Kirche. In eine Kirche, die kalt ist. Wenn wir also Weihnachten feiern, stellen wir uns da nicht der Finsternis und Kälte? In Europa tobt ein Krieg mit schier unzähligen Opfern und Leidenden – ohne Aussicht auf ein Ende. Die Lebenshaltungskosten steigen drastisch. Die Inflation ist hoch. Politischer Anstand, Respekt und Mitgefühl, Fürsorge und Solidarität werden in der Wahrnehmung vieler schmerzlich vermisst. Wenn wir ehrlich Weihnachten feiern, dann lassen wir jene an uns herantreten, die im Schatten des Lebens wohnen. Wir sehen, wer im Licht steht. Jene aber, die in der Finsternis stehen, sehen wir nicht: die Familien in schweren finanziellen Nöten; die Menschen, die nicht mehr weiterwissen; jene, die von ihren Schulden erdrückt werden; die Opfer von vielfältiger Gewalt; die Kinder, welche unter der zerbrochenen Beziehung ihrer Eltern leiden; die Vereinsamten; die unheilbar Kranken; die Obdachlosen; die Flüchtlinge … Wie könnten wir ehrlich von Weihnachten reden, wenn wir Kälte, „Finsternis“ und „Todesschatten“ verschweigen? Wir reden sie nicht herbei. Wir weichen ihnen nicht aus.
Ja, wenn wir Weihnachten feiern, dann müssen wir uns der Finsternis stellen. Denn wenn wir es nicht tun, ist dieses Fest nicht mehr als die hektische Anstrengung, “perfekte“ Romantik herbeizuzaubern, die Lichter hellzumachen und die Finsternis auszublenden in der heimlichen Sehnsucht, die glitzernden Lichter doch in unser Dasein und unsere Welt hineinzutragen.
Zu Weihnachten feiern wir nicht die Nacht der glitzernden Lichter, nicht die Nacht realitätsverweigernder Träumereien, sondern die Geburt Jesu im Stall von Bethlehem. In einem Futtertrog, in Ärmlichkeit und Schmutz. In der Nacht und in der Kälte. Zu Weihnachten feiern wir, dass Jesus das Licht der Welt erblickt. Unser Anfang ist auch sein Anfang: Wie er traten auch wir einst aus dem dunklen Mutterschoß und erblickten das Licht der Welt. Aber die Dunkelheit haben wir nicht ein für alle Mal hinter uns gelassen. So auch Jesus. Er wird in ein Land hineingeboren, das von einer fremden Macht besetzt gehalten und ausgebeutet wird. Er wird in ein Land hineingeboren, das geprägt ist von einer starken sozialen Ungleichheit zwischen der reichen Oberschicht, der Mittelschicht, die nahezu am Existenzminimum lebt, und der breiten Unterschicht aus den Lohnarbeitern, Pächtern, Kranken, Armen und Bettlern. Wer einmal in die Unterschicht abrutscht, kommt so gut wie nicht mehr raus. Jesus wird in ein Land geboren, dessen religiös-politischen Bewegungen im Widerstreit zueinanderstehen. Im Ganzen betrachtet: keine Romantik, keine Harmonie, sondern schlichtweg ungerechte gesellschaftliche und auch abgründige menschliche Realität.
Zu Weihnachten feiern wir, dass Jesus das Licht der Welt erblickt. Er erblickt das Licht der Welt und ihre Finsternis und ihre Todesschatten. Und wir sagen: Gott selbst ist durch die Geburt Jesu ein Mensch geworden. Das bedeutet in seiner ganzen Tragweite: Gott teilt in Jesus unser Los. Gott ist “in unserer Haut“. Die Liturgie in der Heiligen Nacht nennt ihn „Fürst des Friedens“ (Jes 9,5). Und dieser Friede Gottes beginnt klein im Neugeborenen, zerbrechlich, angewiesen auf Zuwendung und Liebe. Er beginnt klein im dürftigen Stall unseres Lebens. Die Heilige Schrift spricht vom „Immanuel“: „Gott mit uns“ (Jes 7,14; Mt 1,23). Weil er mit uns ist, lebt er mit uns und weil er mit uns lebt, sind wir nicht vereinsamt hineingeworfen in unser Dasein. Weil er mit uns ist, sind wir unendlich mehr als wir haben, unendlich mehr als wir aus uns machen und – oftmals wie zwanghaft – aus und machen wollen. Weil er mit uns lebt, ist keine Finsternis mehr ohne Licht, keine Last und Einsamkeit ohne Begleitung und Führung.
Jesus hat das Licht der Welt erblickt, damit wir ihn als das Licht der Welt erblicken. So sagt es uns das Evangelium nach Johannes: „In ihm war Leben und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht leuchtet in der Finsternis und die Finsternis hat es nicht erfasst. (…) Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt.“ (Joh 1,4-5.9) Jesu Leben ist seine Botschaft und seine Botschaft ist sein Leben. Ohne Licht können wir nicht leben. Ohne Licht können wir nicht sehen. Aber das Licht selbst vermögen wir nicht zu sehen. Bemalte Kirchenfenster wirken dunkel, doch wenn das Sonnenlicht auf sie fällt, beginnen sie zu strahlen. Etwa 2000 Jahre sind seit der Geburt Jesu vergangen. In dieser Zeit haben seine Jüngerinnen und Jünger durchgehend Schatten auf sein Licht geworfen und so wird es bleiben. Doch zugleich hat sein Licht nie aufgehört zu strahlen und so wird es bleiben. Bricht sich das Licht Jesu Christi in uns Menschen – und halten wir die Fenster unserer Seele offen – dann leuchtet es auf und dieser Lichtspur können wir seit 2000 Jahren nachgehen und nachspüren – bis heute: „Groß ist Gottes Herrlichkeit im Himmel und Friede ist auf Erden den Menschen, auf denen sein Wohlgefallen ruht.“ (Lk 2,14)
P. Gregor Schwabegger OCist