Die Urlaubszeit bietet uns eine heilsame Unterbrechung an. Denn sie hält eine zweifache Erkenntnis bereit. Erstens, dass wir nicht aufhören zu existieren, sobald wir aufhören etwas zu tun. Wir leben nicht nur für die Arbeit. Wir leben nicht bloß, um etwas zu tun. Zweitens: Wollen wir nur geben, ohne auch zu empfangen, werden wir früher oder später „ausgeschöpft“ sein. Doch die Urlaubszeit ist nicht frei von alteingefahrenen Bahnen: Wird sie tiefer und erfüllter, schenkt sie uns mehr Erholung, wenn wir versuchen, all das nachzuholen, was im ganzen Jahr nicht möglich gewesen ist, wenn wir in einer begrenzten Zeit mehr sehen, mehr tun und mehr erfahren wollen?
Eine Urlaubszeit kann vollgepackt und verplant sein mit vielerlei Tun. Alles Wichtige muss gesehen und getan werden, nichts Wichtiges ist auszulassen. Wer weiß denn schon, ob sich noch einmal eine solche Möglichkeit bietet? Und wie frustrierend ist es erst, wenn etwas Wichtiges dann in der Planung keinen Platz mehr findet oder wenn die Planung nicht funktioniert. So habe ich am Ende der freien Tage vieles gesehen und getan, aber nichts betrachtet, habe im Vorübergehen vieles „zur Kenntnis genommen“, aber nichts auf mich wirken lassen.
Ist es nicht ungleich kostbarer, das zu betrachten und dort zu bleiben, was einen anspricht und wohltut, gerade hier zu verweilen, hierin die Schönheit und Kraft auszukosten, als mit einem kurzen Blick an allem vorüberzugehen und gewissermaßen alles abzuhaken? Welche Erfahrungen bleiben nach dem bloßen Mehr-Sehen und Mehr-Tun in uns zurück?
Die Wochen des Urlaubs bieten auch die Möglichkeit zur geistlichen Lektüre. Täglich werden wir mit Informationen, Bildern und Wörtern überflutet mit der Folge, dass wir seelisch und geistig abstumpfen. Unser Bewusstsein wird vielfach nahezu zu einer Art Mülltonne. Die geistliche Lektüre in der Urlaubszeit bietet eine heilsame Unterbrechung: Sie schärft unser Bewusstsein, indem wir wieder lernen zu unterscheiden und zu entscheiden, was wir aufnehmen wollen und was unser Denken und Empfinden leitet und bestimmt. Doch auch hier müssen wir aus dem Alltagstrott aussteigen. Denn zumeist lesen wir, um Interessen zu befriedigen oder einen Wissensdurst zu stillen. Bei der geistlichen Lektüre verhält es sich anders: Wer geistlich liest, tut dies verweilend, mit innerer Aufmerksamkeit für die Bewegungen der Seele. Wer geistlich liest, lässt die Worte und Sprachbilder auf sich wirken, taucht gleichsam in sie ein. Wer geistlich liest, tut dies hörend, geht in die Tiefe mit dem Verlangen, im Glauben, in der Hoffnung und in der Liebe zu wachsen. Sich täglich eine bestimmte Zeit des Tages einer guten Lektüre zu widmen, kann uns helfen, dass unser Geist wieder ein Gefäß voll guter und schöpferischer Gedanken wird und unsere Seele wieder neue Lebendigkeit gewinnt.
Wer den Mut zur Betrachtung im Akt der Ruhe aufbringt, entdeckt etwas in sich selbst, erfährt etwas über sich selbst, nicht bloß außer sich im Sehen und Tun. Wer betrachtet, der verkostet die Wirklichkeit. Wir können die Urlaubszeit als Einladung hierzu annehmen.
P. Gregor Schwabegger OCist