Gedanken zu Weihnachten

Weihnachten ist vielfach mit Ansprüchen und Erwartungen überladen. Damit verbindet sich, auch medial eingetrichtert, das Bild der „perfekten“ Gemeinschaft. Die Wirklichkeit sieht oft anders aus. Was ein Jahr hindurch an Beziehung nicht gelungen ist, das soll jetzt sein. Was man ein Jahr hindurch nicht an Zuwendung gezeigt hat, das soll sich jetzt erweisen. Aus den eigenen Erwartungen an sich und andere entwickelt sich mitunter ein spannungsgeladenes Gemenge, das sich an den Feiertagen entlädt. Hinzu kommt, ökonomisch propagiert, Weihnachten als belastendes „Fest der Geschenke“ – zuweilen nicht mehr als der Ausdruck eines getriebenen Konsumverhaltens. Der christliche Sinn von Weihnachten wird so bewusst oder unbewusst vergessen, an den Rand gedrängt oder ausgeblendet.

Der Sinngehalt der Weihnachtsliturgie nimmt eine geerdete Sicht auf die Situation des Menschen ein: Dieser geht auf den Pfaden seines Lebens unweigerlich auf Gott zu, er folgt dem Stern der Hoffnung, dass sein Leben doch einen Sinn hat und Erfüllung findet, und er erfährt, dass er sich letztlich keine bleibenden Herbergen schaffen kann. Die Hoffnung lässt den Menschen weitergehen, bisweilen hoffend auf Hoffnung, ahnend, dass sein Weg nicht zu Ende ist, sein Leben unvollendet bleibt und dass da noch etwas “anderes“ sein muss. Wir, die wir in unserer eigenen Leistung und im Konsum das Heil suchen und selbst machen wollen, wir verrennen uns dabei heillos – Heil und Erlösung können wir uns nicht machen.

Hierin hat die Botschaft von Weihnachten ihren Ort: Gott webt sich in die Menschheitsgeschichte ein. Er tritt in unsere Existenz ein und stellt sich unter den Bedingungen unserer Lebenswelt. Nicht als göttlicher Rollenspieler, sondern als einer von uns – als Mensch unter Menschen, als Mensch mit Menschen. „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt“ (Joh 1,14), „Heute ist euch der Retter geboren“ (vgl. Lk 2,11). Geboren, das heißt geschenkt, nicht gemacht. Nicht von uns kommend, sondern zu uns kommend. Am Menschlichen und Lebenswirklichen vorbei ist Gott nicht zu finden. Wenn wir diese schier unbegreiflichen Worte des Johannesevangeliums erfassen wollen, müssen wir sie in ihrer Radikalität aufnehmen: Wir treffen Gott nicht nur auf den Gipfeln des Erfolgs an, sondern auch in den Tiefen des Scheiterns, nicht nur auf den Höhen der Freude, sondern auch in den Tiefen der Klage, Bitte und Verzweiflung, nicht nur in den Segnungen der Freundschaft und Liebe, sondern auch in den Lasten der Not und Einsamkeit, wenn unsere Gebete im Schweigen verstummen. Gott zu begegnen, das ist nur im ganzen “Ja“ zur Höhe und Tiefe unserer Existenz möglich. „Und das Licht leuchtet in der Finsternis und die Finsternis hat es nicht erfasst“ (Joh 1,5). Die Menschwerdung Gottes, die Geburt des Heilands, geschieht in der Mitte der Nacht. Wäre der Heiland wahrer Mensch, wäre er einer von uns, wenn er die Menschennacht gescheut hätte? Doch gerade da hinein ist er geboren, um sein Licht in ihr aufstrahlen zu lassen: Seine sich zuwendende Liebe kann keine Finsternis erfassen.

 

Die Hirten und die drei Weisen brechen nach Bethlehem auf. Dort sitzt nicht der göttliche Allherrscher auf dem Thron in einem Palast, dort liegt ein Säugling in der Krippe eines Stalls. Gott kommt in unser Leben, aber anders als erwartet: Im Kind, das in der Krippe liegt, zeigt er sein Antlitz. Er begegnet uns von Mensch zu Mensch, in Augenhöhe. Im Kind begegnet er uns unterhalb unserer Augenhöhe. Und damit ist er uns ganz nahegekommen, die wir selbst angewiesen sind auf Zuwendung. Die Hirten und die drei Weisen lassen sich von Gott berühren. Er berührt zärtlich, in dem Moment, wo wir uns von jenen Haltungen verabschieden, mit denen wir unsere vernarbten Wunden, die das Leben geschlagen hat, mit gespielter Harmonie Stärke zu schützen trachten. Er berührt uns in dem Moment, wo wir zur Erkenntnis kommen, dass wir Empfangende des Lebens sind – wir verdanken das Leben und die Wunder des Lebens nicht uns selbst. Schließlich: Gott berührt uns zärtlich, wo wir uns einander selbstlos zuwenden.

Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt“ (Joh 1,14). Das Wort vom Wohnen muss vom griechischen Originaltext her als “zelten“ verstanden werden. Gott hat unter uns sein Zelt aufgeschlagen. Er ist zum Menschen unterwegs und im Menschen berührbar geworden. Doch Gott bleibt der Gott der Verheißung. Seine zärtliche Berührung bleibt momenthaft, um meinetwillen und um des Nächsten willen. Nur auf diese Weise laufen wir nicht Gefahr, den anderen zum Mittel der eigenen Gottesbeziehung zu machen und den Gottesglauben nicht zu instrumentalisieren. Der Nächste ist als Gottes Bild und Gleichnis um seiner selbst willen zu achten. Die Erfahrung der Berührung Gottes lässt sich weder festhalten noch beweisen. Sie erweist sich aber in Neugeborenwerden von Geist und Herz. Wir bleiben also unterwegs in heiliger Unruhe, die sich nach der Fülle des Lebens sehnt. Wir sind Pilger in dieser Zeit, doch nicht allein, sondern mit Jesus Christus, der das Leben mit uns lebt.

P. Gregor Schwabegger OCist